07.11.2019

Neuer Ansatz: Transition to Line

Wie Unternehmen digitale Veränderungen und neue Fähigkeiten verankern.

Der digitale Wandel führt zu einer zunehmenden Disruption bestehender Geschäftsmodelle und deren Organisationen. Wir begleiten eine Vielzahl dieser Veränderungsinitiativen und stellen vermehrt fest, dass der gewünschte Nutzen nicht erreicht wird. Dem liegt zugrunde, dass viele Unternehmen nur Lieferergebnisse übergeben und notwendige Anpassungen der Organisation missachten. Eine effiziente Integration neuer digitaler Fähigkeiten in die Organisation ermöglicht das bewährte Vorgehensmodell Transition to Line.

Grosse Veränderungsinitiativen in der Form von Programmen und Grossprojekten führen zu signifikanten Innovationen, die spätestens am Ende der Initiative in die Bestandsorganisationen überführt werden müssen. Gerade hierin besteht eine enorme Herausforderung: Die schnelle produktorientierte Projektorganisation trifft oft auf eine träge prozessorientierte Bestandsorganisation. Daher müssen sich Unternehmen nicht nur um die Übergabe in den Betrieb (Transition to Operation), sondern auch um die Umgestaltung der Linienorganisation (Transition to Line) kümmern. Sind die organisatorischen Implikationen berücksichtigt und über Verantwortlichkeiten verankert, können die neuen Strukturen den Nutzen sicherstellen und ihn sogar erhöhen.

Das Vorgehensmodell

Um dies zu gewährleisten, hat Campana & Schott das Vorgehensmodell Transition to Line (T2L) für eine systematische Organisationsentwicklung entworfen, welches sich im Projektgeschäft bereits als wertvolles Werkzeug zur Integration neuer digitaler Fähigkeiten bewährt hat. Der Ansatz basiert auf vier aufeinanderfolgenden Schritten:

A. Analyse der organisatorischen Fähigkeiten
B. Entwicklung des Organisationsdesigns
C. Durchführung der organisatorischen Allokation
D. Realisierung der organisatorischen Transition

Diese Schritte bauen auf vier grundlegenden Prinzipien auf:

  • Organisatorische Fähigkeiten als kleinste Bausteine einer Organisation
  • Wertbeitrag zur Organisation als Gliederungsrahmen für die organisatorischen Fähigkeiten
  • Konsequente Produkt-/Serviceorientierung zur Abgrenzung der Verantwortlichkeiten
  • Iteratives Vorgehen für die Integration einer neuen Organisationseinheit
Schritt A: Analyse der organisatorischen Fähigkeiten

Unter organisatorischen Fähigkeiten verstehen wir die kleinsten organisatorischen Bausteine. Im betriebswirtschaftlichen Sprachgebrauch definieren sie sich als spezifisches Wissen der Organisation zur Erzeugung charakteristischer Produkte oder Dienstleistungen. Die Relevanz der organisatorischen Fähigkeiten liegt in der Notwendigkeit zur Transparenz. Denn häufig besitzen verschiedene Stakeholder unterschiedliche Ansichten von neu geschaffenen organisatorischen Fähigkeiten. 

In einem Fall stellten wir Projektmitarbeiter und Sponsoren vor die Aufgabe, die Fähigkeit „Erstellung kundenbasierter Kaufempfehlungen“ zu definieren. Ein Teil der Befragten interpretierte sie als toolgetriebene Analyse von Kundendaten mittels statistischer Verfahren. Ein anderer Teil verstand darunter die Vorbereitung von Kundenangeboten der Vertriebsmitarbeiter auf Basis einer statistisch optimierten Vorauswahl. Entsprechend ergab sich die Herausforderung, ein homogenes Verständnis der neuen digitalen Fähigkeiten zu erzeugen, um die richtigen Entscheidungen für die daraus folgende Wertschöpfung zu ziehen.

Zentrales Werkzeug für diesen Zweck sind Capability Cards. Damit lassen sich verschiedene Aspekte abbilden – von notwendigen Schnittstellen über benötigte Mitarbeiter-Skills und strategische Wertbeiträge bis hin zu sinnvollen Tools. Erst wenn alle relevanten Stakeholder ein gemeinsames Verständnis der neuen digitalen Fähigkeiten besitzen, kann mit der Definition der Wertschöpfung als Grundlage des zweiten Schritts begonnen werden.

Schritt B: Entwicklung des Organisationsdesigns

Für das T2L Framework ist die Wertschöpfung die Grundlage für die folgende Organisationsstruktur. Im zweiten Schritt des T2L Frameworks werden die zuvor identifizierten organisatorischen Fähigkeiten gegliedert und daraus Wertschöpfungsschritte entwickelt. Diese sind meist bereits implizit und unvollständig vorhanden. Sie klar darzustellen und zu vervollständigen, ist wichtig für die gesamtheitliche Kommunikation.

In der Praxis beobachten wir in vielen Unternehmen, dass im Projektkontext zu wenig in die Analyse der Wertschöpfung investiert wird und der Sachkontext zu sehr im Vordergrund steht. Beim Übergang in die Linienorganisation werden bestehende Strukturen selten in Frage gestellt. Doch sie eignen sich meist kaum für die neuen digitalen Fähigkeiten. In einem Beispiel sollte eine neue Organisationseinheit – die aus einem Data-Analytics-Programm mit Fokus auf das Marketing entstanden war – in das Unternehmen integriert werden. Dadurch ergaben sich mehrere Überschneidungen der neuen Fähigkeiten mit bestehenden Marketing- und IT-Abteilungen. Insbesondere durch die Analyse der Wertschöpfungskette war erkennbar, dass die neuen digitalen Fähigkeiten nur entlang technisch logischer Cluster Wert erzeugen (siehe Abbildung 2)

Schritt B ist elementar für weitere Managementabstimmungen. Denn durch die Darstellung von Wertschöpfungstiefen anhand der Wertschöpfungskette lassen sich unterschiedliche Konfigurationen der Zielorganisation entwickeln. Daraus resultieren die Blaupausen der Organisationsstruktur mit Ablauf- und Aufbauorganisation. Ohne ein Aufzeigen der Wertschöpfung und der notwendigen Investition – auf Basis der zugrundeliegenden organisatorischen Fähigkeiten – können und sollten keine Entscheidungen getroffen werden.

Abbildung 2: Die Wertschöpfungskette bei Customer Data Analytics
Schritt C: Durchführung der organisatorischen Allokation

Die organisatorische Allokation ermöglicht die Abstimmung und Feinjustierung einer neuen Organisationseinheit in die bestehende Struktur. Selten werden im Unternehmensalltag Konzepte erstellt, mit dem Management abgestimmt und danach reibungslos in die Organisation integriert. Meist muss das neue Organisationskonzept durch umfassende Abstimmungen mit den bestehenden Abteilungen feinjustiert werden.

Hier zeigt unsere Erfahrung, dass eine Diskussion über Produkt- statt Prozess-Verantwortung besser ist. Wird der Fokus der Wertschöpfung auf ein neues Produkt gelegt, sind Abteilungsleiter eher bereit, Verantwortung an die neue Organisationseinheit abzugeben. Innerhalb eines Integrationsprojektes fokussierten wir unsere Managementabstimmungen beispielsweise auf die Produktverantwortung eines kundenzentrierten Produktportfolios für Geschäftskunden. Damit konnten wir effektiv die Sorge der Abteilungsleiter vor der Reduzierung ihrer Prozessverantwortung nehmen. Stattdessen konnten Schnittstellen in vorhandene Sales- und IT-Prozesse schnell identifiziert und die zugehörigen Target-Operating-Modelle definiert werden.

Die organisatorische Allokation ist essenziell für eine erfolgreiche Transition to Line. Denn hier werden Stakeholder abgeholt und von der Notwendigkeit einer neuen Organisationseinheit überzeugt. Eine angemessene Sorgfalt in diesem Schritt bildet die Basis für eine erfolgreiche Operationalisierung der neuen Organisationseinheit.

Schritt D: Realisierung der organisatorischen Transition

Mit der organisatorischen Transition werden die zu Beginn definierten organisatorischen Fähigkeiten in einer neuen Organisationseinheit operationalisiert. Die organisatorische Transition stellt sicher, dass die Mitarbeiter gemäss ihren definierten Fertigkeiten und Rollen eingegliedert werden. So können sie innerhalb der neu geschaffenen Strukturen ihren Beitrag leisten.

Im Projektgeschäft beobachten wir eine zunehmende Bedeutung von Change-, HR- und Wissensmanagement. In einem Projektbeispiel wurde eine Programmorganisation in eine neu geschaffene Linieneinheit überführt, ohne die organisatorische Transition ausreichend zu berücksichtigen. In der Folge wurden von Mitarbeitern weiterhin die Prozesse der Programmorganisation gelebt, die in der Linienorganisation allerdings nicht mehr zielführend waren. Durch umfangreiche Change-Management-Massnahmen konnten wir dem entgegenwirken und mithilfe von Werkzeugen wie Purpose Workshops die Mitarbeiter gezielt für die Veränderung ihrer Arbeitsweise gewinnen.

Zudem sind administrative Aufgaben sorgfältig zu planen. Die Schaffung einer neuen Organisationseinheit erfordert etwa häufig umfangreiche Betriebsratsabstimmungen. Um hierbei nicht den Überblick zu verlieren, empfiehlt sich eine strukturierte Herangehensweise mit Checklisten und Zeitplänen.